Von Strategiegenies lernen: Wie Richard Rumelts “Good Strategy Bad Strategy” KI und Marketing revolutionieren kann

Die zeitlosen Prinzipien des Strategiemeisters angewendet auf die digitale Revolution


Warum 90% aller KI-Strategien scheitern – und wie Sie es besser machen

Haben Sie schon mal eine Präsentation gesehen, die mit “Wir werden KI-Leader in unserer Branche” beginnt? Oder ein Marketing-Meeting erlebt, wo “AI-powered Customer Experience Solutions” das Buzzword-Bingo gewonnen hat? Willkommen in der Welt der schlechten Strategie – ein Phänomen, das der UCLA-Professor Richard Rumelt bereits 2011 in seinem bahnbrechenden Werk “Good Strategy Bad Strategy” analysiert hat.

Heute, im Zeitalter von ChatGPT, generativer KI und hyperpersonalisiertem Marketing, sind Rumelts Erkenntnisse aktueller denn je. Denn während sich die Technologie exponentiell entwickelt, bleiben die Grundprinzipien guter Strategie unverändert. Lassen Sie uns erkunden, wie Sie diese Prinzipien nutzen können, um in der KI-getriebenen Marketingwelt nicht nur zu überleben, sondern zu dominieren.

Der strategische Kern: Diagnose, Leitprinzip, Aktion

Was macht Strategie wirklich aus?

Richard Rumelt, der Strategieberater von Microsoft, Shell, Apple und Intel, definiert gute Strategie durch drei unverzichtbare Komponenten – den sogenannten “strategischen Kern”:

1. Diagnose – Das Problem präzise identifizieren

Gute Strategie beginnt mit einer schonungslosen Analyse der Realität. “Der Kern strategischer Arbeit ist immer derselbe: die kritischen Faktoren einer Situation zu entdecken und einen Weg zu entwerfen, Aktionen zu koordinieren und zu fokussieren, um mit diesen Faktoren umzugehen”, erklärt Rumelt.¹

Im KI-Kontext bedeutet das: Statt vage von “KI-Transformation” zu sprechen, müssen Sie spezifische Herausforderungen identifizieren. Beispiel:

  • Schlechte Diagnose: “Wir brauchen mehr KI”
  • Gute Diagnose: “Unsere Kundenservice-Kosten steigen um 15% jährlich, während die Kundenzufriedenheit um 8% sinkt, weil repetitive Anfragen 60% der Arbeitszeit binden”

2. Leitprinzip – Der übergeordnete Ansatz

Das Leitprinzip definiert, WIE Sie die diagnostizierte Herausforderung angehen. Es ist keine Zielsetzung, sondern eine Richtungsentscheidung.

Microsoft’s KI-Strategie illustriert das perfekt:

  • Diagnose: Bedrohung durch KI-gestützte Suchmaschinen für das Kerngeschäft
  • Leitprinzip: Investition in führende KI-Unternehmen statt eigener KI-Entwicklung
  • Umsetzung: 10-Milliarden-Dollar-Investment in OpenAI²

3. Kohärente Aktionen – Koordinierte Umsetzung

Die dritte Komponente sind aufeinander abgestimmte Maßnahmen. “Koordination bietet die grundlegendste Hebelwirkung oder den Vorteil in der Strategie”, betont Rumelt.³

Microsoft integrierte KI nicht nur in Bing, sondern koordiniert in alle Produkte: Office 365 (Copilot), Azure (KI-Services), Teams (Intelligente Zusammenfassungen). Jede Aktion verstärkt die anderen.

Die vier Todsünden schlechter Strategie – und wie KI-Projekte daran scheitern

1. Geschwätz statt Substanz

Das Problem: Aufgeblähte Begriffe ohne konkrete Bedeutung.

KI-Beispiel: “Wir implementieren AI-powered, machine-learning-optimierte Customer Experience Solutions mit Deep Learning Algorithmen zur Maximierung der Customer Lifetime Value durch predictive Analytics.”

Die Realität: Niemand weiß, was konkret getan werden soll.

Besser: “Wir nutzen KI, um E-Mail-Betreffzeilen zu personalisieren und die Öffnungsrate um 20% zu steigern.”

2. Die Herausforderung ignorieren

Das Problem: KI wird implementiert, ohne zu definieren, welches spezifische Problem gelöst werden soll.

Viele Unternehmen kaufen KI-Tools, weil “alle anderen es auch tun”, ohne zu verstehen, wo ihre tatsächlichen Schmerzpunkte liegen. Das Ergebnis: Teure Technologie ohne messbaren Nutzen.

3. Ziele mit Strategie verwechseln

Typischer Fehler: “Unser Ziel ist es, mit KI den Umsatz um 30% zu steigern.”

Das Problem: Ein Ziel ist kein Plan. Rumelt warnt: „Wenn der ‘Strategie’-Prozess im Grunde ein Spiel des Setzens von Leistungszielen ist, dann bleibt eine gähnende Lücke zwischen diesen Ambitionen und dem Handeln.“⁴

Strategischer Ansatz:

  • Diagnose: Welche spezifischen Umsatzhemmnisse existieren?
  • Leitprinzip: Wie wird KI diese Hemmnisse überwinden?
  • Aktionen: Welche konkreten KI-Anwendungen werden implementiert?

4. Unpraktikable strategische Ziele

Beispiel: “Wir werden in 6 Monaten die fortschrittlichste KI der Branche entwickeln” – ohne entsprechende Ressourcen oder Expertise.

KI-Marketing-Strategien, die funktionieren

Der IKEA-Effekt: Fokus als Erfolgsfaktor

Rumelt analysiert IKEA als Beispiel perfekter Strategieumsetzung:

  • Diagnose: Nachfrage nach qualitativ hochwertigen, aber erschwinglichen Möbeln
  • Leitprinzip: Selbstmontage-Konzept für Kostenreduktion bei gleichbleibender Qualität
  • Aktionen: Flachpack-Design, Warehouse-Stores, DIY-Marketing⁵

KI-Marketing mit strategischem Fokus

Erfolgsbeispiel Netflix:

  • Diagnose: Nutzer verlassen die Plattform wegen irrelevanter Inhalte
  • Leitprinzip: KI-basierte Personalisierung als Kernkompetenz
  • Aktionen: Recommendation-Engine, personalisierte Thumbnails, Content-Produktion basierend auf Nutzerdaten

Resultat: 80% der geschauten Inhalte stammen aus KI-Empfehlungen⁶

Hebel und strategische Macht im KI-Marketing

Rumelt identifiziert “Leverage” als zentrales Strategieelement: „Die grundlegendste Idee der Strategie ist die Anwendung von Stärke gegen Schwäche.“⁷

Traditionelle Marketing-Hebel:

  • Markenbekanntheit
  • Vertriebskanäle
  • Kundendaten

KI-verstärkte Hebel:

  • Predictive Analytics: Vorhersage von Kaufverhalten mit 85% Genauigkeit
  • Dynamic Pricing: Preisoptimierung in Echtzeit basierend auf Nachfrage, Konkurrenz und Kundenverhalten
  • Hyper-Personalisierung: Individuelle Produktempfehlungen für jeden der Millionen Kunden
  • Marketing Automation: Skalierbare, personalisierte Kampagnen ohne Personalaufwand

Praktische Implementierung: Ihr KI-Marketing-Strategieplan

Phase 1: Schonungslose Diagnose (Woche 1-2)

Daten-Audit:

  • Welche Kundendaten sammeln Sie bereits?
  • Wie gut ist die Datenqualität?
  • Welche rechtlichen Beschränkungen existieren?

Kompetenz-Analyse:

  • Verfügen Sie über Data Scientists?
  • Wie ist Ihr Tech-Stack aufgestellt?
  • Welche KI-Expertise fehlt?

Markt- und Wettbewerbsanalyse:

  • Wie nutzen Konkurrenten KI?
  • Wo entstehen Wettbewerbsvorteile?
  • Welche Kundenbedürfnisse sind unerfüllt?

Phase 2: Leitprinzip entwickeln (Woche 3-4)

Basierend auf Ihrer Diagnose wählen Sie EINEN Fokus:

Option A – Effizienz-Fokus:
“KI für Kostenreduktion und Prozessoptimierung”

  • Zielgruppe: Cost-Center-Manager
  • KI-Anwendungen: Automatisierung, Predictive Maintenance
  • Erfolgsmessung: Kosteneinsparungen, Effizienzsteigerungen

Option B – Differenzierungs-Fokus:
“KI für überlegene Kundenerlebnisse”

  • Zielgruppe: Premium-Kunden
  • KI-Anwendungen: Personalisierung, Recommendation Engines
  • Erfolgsmessung: Customer Satisfaction, Retention Rate

Option C – Wachstums-Fokus:
“KI für neue Märkte und Zielgruppen”

  • Zielgruppe: Neue Kundensegmente
  • KI-Anwendungen: Market Intelligence, Zielgruppenerweiterung
  • Erfolgsmessung: Marktanteil, Neukundengewinnung

Phase 3: Kohärente Aktionen (Woche 5-12)

Technologie-Stack:

  • Build vs. Buy-Entscheidung treffen
  • Partnerships mit KI-Anbietern evaluieren
  • Integration in bestehende Systeme planen

Team-Entwicklung:

  • Interne Schulungen organisieren
  • Externe Expertise einholen
  • Cross-funktionale Teams bilden

Pilot-Projekte:

  • 2-3 begrenzte Anwendungsfälle auswählen
  • Klare KPIs definieren
  • Schnelle Erfolge demonstrieren

Skalierung:

  • Erfolgreiche Piloten ausweiten
  • Learnings in neue Bereiche übertragen
  • Kontinuierliche Optimierung etablieren

Die Zukunft gehört den strategisch Denkenden

Richard Rumelt’s zeitlose Prinzipien zeigen: Technologie allein macht noch keine Strategie. “Strategie ist hauptsächlich Fokus”, erklärt der Professor.⁸ In einer Welt, in der täglich neue KI-Tools lanciert werden, ist die Fähigkeit zur strategischen Fokussierung der entscheidende Wettbewerbsvorteil.

Die Unternehmen, die in der KI-Ära erfolgreich sein werden, sind nicht die mit der fortschrittlichsten Technologie, sondern die mit der klarsten Strategie. Sie diagnostizieren präzise, definieren fokussierte Leitprinzipien und setzen koordinierte Aktionen um.

Ihr nächster Schritt

Beginnen Sie heute mit der Diagnose: Welches spezifische Problem in Ihrem Marketing könnte KI lösen? Nicht “Wir brauchen KI”, sondern “Wir haben Problem X, und KI könnte die Lösung Y bieten.”

Denken Sie daran: „Der Kern strategischer Arbeit ist immer derselbe: die kritischen Faktoren einer Situation zu entdecken und einen Weg zu entwerfen, Aktionen zu koordinieren und zu fokussieren, um mit diesen Faktoren umzugehen.“⁹

Die KI-Revolution hat begonnen. Die Frage ist nicht, ob Sie mitmachen, sondern wie strategisch klug Sie es tun werden.


Quellenangaben

  1. Rumelt, Richard P. (2011). Good Strategy Bad Strategy: The Difference and Why It Matters. Crown Business, S. 77
  2. Microsoft Press Release (2023). “Microsoft and OpenAI extend partnership”
  3. Rumelt, Richard P. (2011). Good Strategy Bad Strategy, S. 103
  4. Ebd., S. 54
  5. Ebd., S. 156-159
  6. Netflix Technology Blog (2022). “Personalization at Netflix”
  7. Rumelt, Richard P. (2011). Good Strategy Bad Strategy, S. 145
  8. Ebd., S. 92
  9. Ebd., S. 77

Weiterführende Literatur

  • Rumelt, Richard P. (2022). The Crux: How Leaders Become Strategists. PublicAffairs
  • Ziegelbecker, Thomas (2020). “A summary of Good Strategy / Bad Strategy by Richard P. Rumelt”. Medium
  • Lenny’s Newsletter (2023). “Good Strategy, Bad Strategy | Richard Rumelt”
  • Harvard Business Review (2023). “AI Strategy and Leadership Collection”